Richard J. Shuster. German Disarmament after World War I: The Diplomacy of International Arms Inspection, 1920-1931. London and New York: Routledge, 2006. 256 pp. 00 (cloth), ISBN 978-0-415-35808-8.
Reviewed by Stefan Scheil (Independent Scholar)
Published on H-German (March, 2007)
Abrüstung als Kalter Krieg
Zu den schwierigsten Aufgaben jedes Friedensprozesses gehört die Wiederherstellung des zuvor in den Kriegszeiten zerstörten gegenseitigen Vertrauens unter den streitenden Parteien. Vielleicht war dieses Vertrauen niemals mehr beschädigt als nach der ersten Katastrophe des zwangzigsten Jahrhunderts, dem Weltkrieg zwischen 1914 und 1918. Der Versailler Friedensvertrag trug dann aufgrund seines Inhalts und der Art seines Zustandekommens durch einen Verhandlungsmarathon unter Ausschluß der besiegten Kriegspartei nur wenig dazu bei, dieses Vertrauen zu erneuern. Richard Shuster behandelt in seiner Studie den nach 1919 folgenden Streit der Kriegsparteien um eine der wichtigsten Bestimmungen des Vertrags: die einseitige Abrüstung Deutschlands.
Um den Sieg der Alliierten zu sichern, wurden entschiedene Maßnahmen getroffen: Das Deutsche Reich hatte jene Waffen abzuliefern oder zu zerstören, die für einen modernen Krieg erforderlich waren. Dazu gehörten nach den Versailler Bestimmungen unter anderem sämtliche Flugzeuge, die kampffähigen Kriegsschiffe, die Panzerfahrzeuge, sowie sämtliche schweren Infanteriewaffen und Artilleriegeschütze. Die bereits seit dem Waffenstillstand internierte deutsche Flotte versenkte sich bekanntlich nach Bekanntgabe dieser Bestimmungen im schottischen Scapa Flow selbst. Da die anderen Forderungen in Bezug auf schwere Waffen ebenfalls vergleichsweise zügig erfüllt wurden, stufte Edgar Vincent, Lord d'Abernon, der englische Botschafter in Berlin, die deutsche Armee bereits Anfang des Jahres 1921 als auf absehbare Zeit ungefährlich ein, wie Shuster schreibt (S. 102).
Damit hätte es nun also sein Bewenden haben können, denn die Sicherheit der Alliierten und ihres Sieges war ewährleistet. Aber der Versailler Vertrag ging über diese Anordnungen bekanntlich erheblich hinaus. Er verbot den Einsatz der deutschen Armee zur Landesverteidigung in bestimmten Regionen des eigenen Landes; er begrenzte die Zahl der auszubildenden Soldaten auf einhunderttausend und verbot die Schaffung von ausgebildeten Reserveeinheiten. Er reglementierte die Zahl der leichten Infanteriewaffen; enthielt Bestimmungen zum Abbau von Befestigungen selbst weit im deutschen Hinterland; verlangte die Auslieferung von Kleidung, von Signalflaggen und regelte sogar die zulässige Anzahl von Brieftauben der deutschen Armee. Hier beginnt gewissermaßen der spannendere Teil von Shusters Studie, spannend auch deshalb, weil die Problematik höchst aktuell ist. Der Autor zieht selbst Parallelen zwischen dem Deutschland der zwangziger Jahre und dem Irak der neunziger (S. 4). Ein "robuster" Inspektionsprozeß habe Erfolg, bilanziert er (S. 4).
Hier stellt sich angesichts des Irakkrieges und der radikalen, sowie teilweise militärisch weitgehend sinnfreien estimmungen von Versailles die Frage, inwieweit ein solcher Inspektionsprozeß der Siegerstaaten tatsächlich deren künftiger Sicherheit dient, bzw. wo er in permanente Herrschaftsausübung mit der Option zu willkürlichen Militärschlägen umschlägt. Andrew Barros hat jüngst im Journal for Strategic Studies darauf hingewiesen, daß insbesondere die französische Abrüstungskontrolle im Deutschland nach 1922 nicht nur der militärischen, sondern auch der moralischen Entwaffnung Deutschlands über fortgesetzte Demütigungen diente.[1]
Shuster erzählt in fünf Abschnitten die Geschichte der alliierten Entwaffnungspolitik bis an ihr Ende. Er stützt sich auf Memoiren und zeitgenössische Quellen, sowie auf unveröffentlichtes Archivmaterial vorwiegend aus England, aber auch aus Frankreich, Deutschlandund den USA. Ein einleitender Abschnitt ist der Legalität und der Organisationsstruktur der Entwaffnungskommission IAMCC (Inter-Allied Military Control Commission) gewidmet, einer dem Abrüstungsprozeß bis 1922 selbst. Teil 3 schildert dann dessen Krise während der Ruhrgebietsbesetzung, als sich die Alliierten über diesen französisch-belgischen Schritt zerstritten. Schließlich behandeln Kapitel 4 und 5 den Wandel der internationalen eziehungen nach 1925 und den schließlichen Übergang des Kontrollregimes hin zum beginnenden Dauerstreit der Genfer Abrüstungskonferenz.
In manchen Passagen wirkt das Buch, als wäre es n den zwanziger Jahren geschrieben worden. Der Autor nimmt entschieden Partei für die Alliierten und gegen die "Germans", besonders gegen deren Versuche, die alliierte Abrüstungskommission an ihre zweifelhafte Legalität zu erinnern, denn von einer solchen Kommission stand im Versailler Vertrag ursprünglich nichts. Gegen die "mighty fortifications" (S. 107) der Weimarer Republik zieht der Autor ebenfalls zu Felde. Dabei legt er gelegentlich alte Legenden erneut auf. Shuster schreibt, es habe ein Netzwerk von Festungen in Deutschland gegeben, das Teil der deutschen Strategie gewesen sei (S. 90). Die meisten dieser Befestigungsanlagen lagen allerdings nicht nur in der entmilitarisierten Zone, sondern stammten aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert und waren auf die Kriegsführung der napoleonischen Ära hin konzipiert. Der Autor nennt unter anderem Koblenz als Standort einer solchen Festung. Der alliierte Plan, die Koblenzer Festung Ehrenbreitstein zu sprengen, galt damals in Deutschland geradezu als Symbol für die Ignoranz der Siegermächte. Sie war nach der Sprengung durch napoleonische Truppen bis 1828 wieder aufgebaut worden und bot gegen einen Beschuß mit modernen Waffen keinen Schutz. Schließlich wurde auf die Sprengung verzichtet.
Insgesamt gelang es der IAMCC, Deutschland zwischen 1920 und 1927 bis hin zur Kriegsunfähigkeit zu entwaffnen, bilanziert der Autor (S. 188). Was nicht gelang, war die Schaffung neuen Vertrauens und damit wirklichen Friedens. England und Frankreich zerstritten sich über die Fortsetzung des Kontrollregimes, das nach der tatsächlich bereits erfolgten Entwaffnung Deutschlands stetig die Atmosphäre vergiftete und je nach Blickwinkel ein wünschenswertes oder ärgerliches politisches Element darstellte. Mit Rüstungskontrolle zum Zweck von Angriffsverhütung hatte dies immer weniger zu tun. Shuster sagt abschließend, ein fortgesetzt hartes englisch-französisches Kontrollregime hätte seiner Meinung nach einen erneuten Krieg verhindert (S. 195). Dies ist im technischen Sinn möglicherweise zutreffend, setzt aber die zeitlich unbegrenzte Fortschreibung der Freund-Feind-Konstellation aus den Zeiten des Weltkriegs voraus. Eine Forderung, die politisch kaum realistisch und auf längere Sicht kontraproduktiv erscheint, da sie dem Gegner--in diesem Fall der deutschen Außenpolitik--eine lange Liste an nutzbaren Argumenten beschert. Willkürliche Besetzungen, bewußt schikanöse Kontrollen militärisch irrelevanter Vorschriften, permanente einseitige eigene Rüstung, das Verbot der Selbstverteidigung im eigenen Land, aktive Förderung separatistischer Bewegungen und schließlich die Zulassung von Teilokkupationen durch dritte Mächte--dies alles verhindert keinen Krieg, es setzt ihn auf "kalte" Weise fort. Zum Frieden führte dieser kalte Krieg gegen die Weimarer Republik bekanntlich nicht, sondern bereitete den Boden für eine innenpolitische Radikalisierung in Deutschland und die internationale Akzeptanz der einseitigen Aufrüstung des NS-Regimes vor. Vertrauen und Frieden können nicht allein durch einseitige Rüstungsbegrenzung wiederhergestellt werden; dies ist insofern eine Lehre, die sich aus der Politik gegenüber dem Irak der 1990er Jahre wie aus der Weimarer Zeit ziehen läßt.[2]
Notes
[1]. Vgl. Andrew Barrows, "Disarmament as a weapon," Journal of Strategic Studies 29 (2006): S. 301 ff.
[2]. Zur Diskussion über diese Parallelen vgl. auch John Keiger und Martin Alexander, "Limiting Arms, Enforcing Limits: Internatioal Inspections and the Challenges of Compellance in Germany post-1919, Iraq post-1991, " Journal of Strategic Studies 29 (2006): S. 354 ff.
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Citation:
Stefan Scheil. Review of Shuster, Richard J., German Disarmament after World War I: The Diplomacy of International Arms Inspection, 1920-1931.
H-German, H-Net Reviews.
March, 2007.
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