Sybille Buske. Fräulein Mutter und ihr Bastard: Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900-1970. Göttingen: Wallstein Verlag, 2004. 400 S. EUR 40.00 (cloth), ISBN 978-3-89244-750-4.
Reviewed by Wolfgang Ayaß (University of Kassel)
Published on H-German (March, 2006)
Illegitimate in Germany
Auch wenn es überrascht: Die Geschichte der Unehelichkeit im Deutschland des 20. Jahrhunderts war trotz jahrzehntelanger Frauen- und Geschlechterforschung bisher ein Desiderat.[1] Mit ihrer Freiburger geschichtswissenschaftlichen Dissertation schließt Sybille Buske diese Lücke. Das Ziel der Autorin ist die Analyse der "Wechselwirkung zwischen Rechtswandel und den sich veränderten gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber Illegitimität" (S. 12). Kern der Studie ist die Untersuchung der Entwicklung des Familienrechts bzw. konkret des Rechts der Unehelichen. Dieser eher traditionelle Untersuchungsansatz wird gewinnbringend ergänzt durch sozial- und kulturgeschichtliche Fragestellungen bzw. geschlechterspezifische Perspektiven. Die Analyse umfaßt recht unterschiedliche Ebenen, zwischen denen in der trotzdem gut lesbaren Studie häufig hin- und hergesprungen wird: Rechtsetzung und Rechtspraxis, politische und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, den Alltag und wissenschaftliche Deutungen (S. 350). Dabei wertet die Autorin zeitgenössische Fachorgane aus, aber auch Tagespresse und Publikumszeitschriften, Archivalien verschiedener Provenienz und Parlamentsprotokolle. Besonders interessant sind die herangezogenen Tagebuchaufzeichnungen. Die Studie ist ein wichtiger Beitrag zur Familiengeschichte.
Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von 1900 bis 1970. Als Eckdaten dienen das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahr 1900 (mit dem für das gesamte Deutsche Reich erstmals ein einheitliches Familienrecht eingeführt wurde) und die Reform des Unehelichenrechts in Westdeutschland im Jahr 1969. Ältere Entwicklungsstränge vor 1900 werden übergangen, und auch die weitere Ausgestaltung des bundesdeutschen Familienrechts nach 1970 (etwa durch die Kindschaftsrechtsreform vom 1.7.1998[2]) wird nicht einmal erwähnt.
Die zahlenmäßige Entwicklung der Unehelichkeit wird an verschiedenen Stellen angeführt, aber leider nicht systematisch untersucht, auch nicht das große Problem der eklatant höheren Sterblichkeit unehelich geborener Säuglinge. Regionale und religiöse Unterschiede, Stadt-Landgefälle und schichtenspezifische Besonderheiten werden ebenfalls nur erwähnt, aber bezogen auf den gesamten Untersuchungszeitraum nicht vertieft. Hier hätte ich mir mehr traditionelle sozialgeschichtliche bzw. demographische Forschungsansätze gewünscht, um die materielle Grundlage der Diskurse über Unehelichkeit deutlicher zu machen.
Die grundlegenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1896 blieben bis 1969 unverändert: Das uneheliche Kind war mit seinem Vater familienrechtlich nicht verwandt, selbst wenn die Vaterschaft anerkannt war und Unterhaltszahlungen geleistet wurden, ja nicht einmal, wenn der Vater mit der Mutter unverheiratet zusammenlebte und seine Vaterrolle faktisch erfüllte. Ledige Mütter und ihre Kinder galten nicht als Familie. Uneheliche Kinder und Mütter waren gesellschaftlich geächtet und stigmatisiert, weitgehend entrechtet und lebten in der Mehrzahl in desolaten materiellen Verhältnissen. Jede Verbesserung der Lage der unehelichen Kinder und Mütter, so das durchgängige Argumentationsmuster konservativer und kirchlicher Kreise, gefährde Ehe und Familie und damit letztlich die Gesellschaft. "In der bürgerlichen Wahrnehmung vereinigten ledige Mütter und uneheliche Kinder alle Laster der Moderne: Unkontrollierte Sexualität und Unsittlichkeit, Verwahrlosung und Kriminalität" (S. 352).
Die Anerkennung der Vaterschaft war durch die schlichte Behauptung, die Frau habe auch mit anderen Männern geschlafen, einfach zu umgehen ("Mehrverkehrseinrede"), denn medizinische Hilfsmittel zur sicheren Feststellung der Vaterschaft wie Blutgruppenuntersuchungen oder gar heutige DNA-Analysen existierten zunächst noch nicht.
Aber auch Unterhaltszahlungen einer anerkannten Vaterschaft waren für die Frauen oft schwierig zu realisieren, wie die Autorin anhand anschaulicher Einzelfälle dokumentiert. Die in jeder Hinsicht dramatisch schlechte Lage der unehelichen Mütter wird an vielen Beispielen aufgezeigt.
Wie in vielen anderen sozialpolitischen Bereichen brachte der Erste Weltkrieg aufgrund wehr- und bevölkerungspolitischer Maßnahmen auch für ledige Mütter und deren Kinder bestimmte soziale Leistungen, die dann nach Kriegsende noch ausbaut wurden. In der Weimarer Republik erhielt der Schutz der Ehe und Familie Verfassungsrang. Verfassungsmäßig festgelegt war auch die Schaffung von gleichen Entwicklungsbedingungen und Chancengleichheit für eheliche wie uneheliche Kinder, was in Bezug auf das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht verwirklicht wurde, jedoch in der Sozialgesetzgebung weitgehend umgesetzt werden konnte. Eine Reform des Unehelichenrechts scheiterte 1930 an konservativen Parteien, Kirchen und Fürsorgeverbänden.
Die grundlegenden Bestimmungen des Nichtehelichenrechts blieben auch in der Zeit des Nationalsozialismus gültig. Eine Revision der einschlägigen Gesetzesbestimmungen kam trotz intensiver Vorarbeiten in der Akademie für Deutsches Recht und im Reichsjustizministerium nicht zu Stande. Eindrücklich schildert Buske, wie der alte Sittlichkeitsdiskurs schnell und tiefgehend durch rassenhygienische Erwägungen überlagert wurde. Nicht mehr ehelich oder unehelich war das Unterscheidungskriterium, sondern wertvoll oder minderwertig, wenngleich Unehelichkeit über weite Strecken per se als Ausdruck von Minderwertigkeit und Asozialität angesehen wurde.
In der zweiten Kriegshälfte trat die nationalsozialistische Führung offen für außereheliche Beziehungen zwischen "wertvollen Volksgenossen" ein. Ein--schließlich am Einspruch Hitlers gescheiterter--Gesetzentwurf sah die völlige Entrechtung von rassisch unerwünschten unehelichen Kindern vor, während erbbiologisch erwünschte "wertvolle" uneheliche Kinder gegenüber dem geltenden Recht besser gestellt werden sollten. Aus Gründen rassenhygienischer Sippenforschungen wurde im Übrigen die Feststellung der Vaterschaft des uneheliches Kindes eminent wichtig--jenseits aller Unterhaltsfragen. Interessant sind die Ausführungen zum nationalsozialistischen Arbeits- und Steuerrecht, denn hier läßt sich in der Rechtsprechung eine gewisse Besserstellung der unverheirateten Mutter feststellen, weil uneheliche Schwangerschaft nicht mehr als Kündigungsgrund von Arbeitsverhältnissen akzeptiert wurde.
Der deutliche Schwerpunkt der Studie liegt in der Zeit nach 1945, wobei die Entwicklung in der DDR fast völlig ausgeblendet wird. Die unmittelbare Nachkriegszeit war geprägt durch einen (vorübergehend) starken Anstieg unehelicher Geburten, zu denen die "Besatzungskinder" jedoch nur einen geringen Teil beitrugen. So manche kirchliche Kreise sahen--wieder einmal--die Institution der Familie zerfallen und perhorreszierten den Untergang der Gesellschaft. Das Grundgesetz von 1949 nahm im Übrigen die Postulate der Weimarer Verfassung zur Gleichstellung der Unehelichen fast wörtlich wieder auf.
In der gesamten Studie analysiert die Autorin immer wieder die Stellung der beiden großen christlichen Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände zum Unehelichenrecht, wobei sie aufzeigt, daß die katholische Kirche mit ihren überkommenen Familien- und Moralvorstellungen in der Nachkriegszeit zunehmend an Einfluß verlor. Andere von der Autorin untersuchte Akteure sind Parteien, die Frauenbewegung und ihre Organisationen, Juristenverbände und schließlich (ab 1967) Selbsthilfeorganisationen, deren Entstehungsgeschichten Buske ausführlich würdigt. Mit dem Bundesverfassungsgericht trat in der Nachkriegszeit ein neuer Akteur auf den Plan, der letztlich die Reform beschleunigte.
Den entscheidenden Bruch setzt Buske Mitte der sechziger Jahre an (und mithin geringfügig vor 1968!). Die Debatte über Unehelichkeit entfernte sich zunehmend vom Sittlichkeitsdiskurs und wurde Bestandteil der Diskussionen über Demokratisierung, Menschenwürde und Menschenrechte.
Ausführlich referiert die Autorin die soziologische Familienforschung, die immer weniger bereit war, die Lebensverhältnisse des unehelichen Kindes anders zu bewerten als die von Waisen- oder Scheidungskindern. Nachdem somit "Unehelichkeit" jenseits allen Sittendiskurses im weiter gefassten Rahmen der "unvollständigen Familie" aufgegangen war, ließ sich eine besondere rechtliche Behandlung des unehelichen Kinds endgültig nicht mehr vertreten. "Unmoralisch" waren nun nicht mehr die uneheliche Mütter, sondern die sie und ihre Kinder diskriminierenden Gesetze.
Ohne daß grundlegend neue Argumente aufgetaucht waren, gewannen jetzt--nach jahrzehntelangen Debatten--die Befürworter einer Reform die Meinungsführerschaft. In der großen Koalition des Kabinetts Kurt Georg Kiesinger gelang die Reform des Unehelichenrechts. Entscheidende Akteure in Regierung bzw. Parlament waren der sozialdemokratische Justizminister Gustav Heinemann (er wurde noch während des Gesetzgebungsverfahrens zum ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten gewählt) und die CDU-Abgeordnete Elisabeth Schwarzhaupt. Kernstreitfrage blieb bis zuletzt die Frage des Erbrechts des unehelichen Kindes gegenüber seinem Vater. Das Nichtehelichengesetz von 1969 (man beachte den neuen Begriff "nichtehelich"!) bezeichnet uneheliche Kinder und ihre Mütter erstmals als "Familie" und bestätigt hierdurch einen tiefgreifend veränderten Familienbegriff.
Anmerkungen
[1]. Vgl. nun auch Andrea Czelk, "Privilegierung" und Vorurteil. Positionen der Bürgerlichen Frauenbewegung zum Unehelichenrecht und zur Kindstötung im Kaiserreich (Köln: Bohlau, 2005).
[2]. Bundesgesetzblatt I, S. 2942.
If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at: https://networks.h-net.org/h-german.
Citation:
Wolfgang Ayaß. Review of Buske, Sybille, Fräulein Mutter und ihr Bastard: Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900-1970.
H-German, H-Net Reviews.
March, 2006.
URL: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=11555
Copyright © 2006 by H-Net, all rights reserved. H-Net permits the redistribution and reprinting of this work for nonprofit, educational purposes, with full and accurate attribution to the author, web location, date of publication, originating list, and H-Net: Humanities & Social Sciences Online. For any other proposed use, contact the Reviews editorial staff at hbooks@mail.h-net.org.



