Ales Skrivan. Schwierige Partner. Deutschland und Ö?sterreich-Ungarn in der europÖ¤ischen Politik der Jahre 1906-1914. Hamburg: DÖ¶lling und Galitz Verlag, 1999. 435 S. ISBN 978-3-933374-17-2.
Reviewed by Holger Afflerbach (Universität Düsseldorf)
Published on HABSBURG (November, 2001)
Deutschland und Österreich vor dem Grossen Krieg
Deutschland und Oesterreich vor dem Grossen Krieg
Der tschechische Historiker Ales Skrivan - er lehrt am Institut fuer Weltgeschichte der Prager Universitaet - behandelt in seinem Buch das deutsch-oesterreichische Verhaeltnis von 1906-1914, wobei im Mittelpunkt die diplomatiegeschichtlichen Ablaeufe von der Ernennung Aehrenthals zum oesterreichisch-ungarischen Aussenminister im Jahre 1906 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs stehen.
Nach den ersten diplomatischen Ereignissen wie der Haager Friedenskonferenz und der Sandjakbahnkrise (ueberschrieben mit "Die letzten ruhigen Jahre 1906-1908") kommt ein erster Hoehepunkt der Darstellung mit der Bosnischen Krise von 1908. Skrivan weiss hier durch die umsichtige Verwendung von grossen Mengen gedruckter und ungedruckter Quellen verschiedenster Provenienzen, darunter auch russischen Quellen, zu beeindrucken. Detailliert stellt er die einzelnen diplomatischen Schachzüge der Mächte während der Annexionskrise dar. So weist er ueberzeugend nach, dass Aehrenthal seinen russischen Kollegen tatsaechlich ueber die Annexion und auch ihren Termin informiert hatte und dessen Leugnen hinterher in noch groesserem Ausmass Ausfluechte und Unwahrheiten waren, als dies ohnehin schon in allen gaengigen Handbuechern vermutet wird. Unterstrichen wird auch das grosse Mass der Unterstuetzung, das der deutsche Reichskanzler Buelow den Oesterreichern in dieser Krise gewaehrte.
Im "Zwischenspiel" von 1909-1912 stellt Skrivan dann dar, wie die deutsche Diplomatie versuchte, sich von Oesterreich-Ungarn wieder etwas freizuschwimmen und die Beziehungen zu den anderen Maechten zu verbessern, etwa zu Russland im Treffen von Potsdam 1910. Tragende Figur ist hier Alfred Kiderlen-Waechter, der, seit 1910 Staatssekretaer im Auswaertigen Amt, die Geschicke der deutschen Aussenpolitik leitete. Die von Kiderlen geleitete deutsche Diplomatie versuchte in diesen Jahren, ihre Politik auf eine breitere europeaische Basis zu stellen und die waehrend der Bosnischen Krise sichtbar gewordene gefaehrliche Abhaengigkeit von Oesterreich zu vermindern. Im Gegenzug vermied Aehrenthal eine Festlegung der Donaumonarchie waehrend der Zweiten Marokkokrise. Behandelt werden in diesem Abschnitt auch der Libyenkrieg und der Streit zwischen dem oesterreichisch-ungarischen Generalstabschef Conrad und Aussenminister Aehrenthal.
Im vierten Kapitel wendet sich Skrivan den Balkankriegen 1912-13 zu, die ganz unter dem Eindruck der wachsenden oesterreichischen Schwierigkeiten standen. Hierbei findet auch der Machtwechsel von Aehrenthal zu Berchtold Erwaehnung. Im fuenften und letzten Kapitel wird schliesslich die aussenpolitische Situation behandelt, wie sie sich nach den Balkankriegen herausgebildet hatte; es endet mit dem Attentat von Sarajevo und dem Kriegsausbruch 1914.
Hier endet das Buch mit der Feststellung, dass Deutschland im Sommer 1914 "seinen Verbuendeten in dieser Krisensituation nicht im Stich lassen" konnte. "Haette es dies getan, haette es in kuerzester Zeit alleine gegen ganz Europa gestanden" (S. 394). "Es konnte seiner eigenen totalen Isolierung lediglich durch eine bedingungslose Unterstuetzung Wiens zuvorkommen" (S. 392). Auch Oesterreich-Ungarn habe "im Sommer 1914 keine annehmbare Alternative" gehabt (S. 394). Kritisch ist Skrivan gegenueber Russland: "Was das Ausgreifen des Konflikts in europaeische Dimensionen anbelangt, so wird Russland zu recht die Schluesselrolle zugeschrieben" (S. 393). Bei diesen Ausführungen erhebt sich aber die Frage, ob sich der Autor hier nicht zu sehr die zeitgenoessische Sicht der Dinge vom "Teufelskreis" zu eigen gemacht hat. Denn ein Einlenken jeder dieser Maechte haette dieser geschadet, doch waere die diplomatische Niederlage viel leichter zu ertragen gewesen als die Alternative, nämlich die Katastrophe des Weltkriegs. Auf jeden Fall ist Skrivan hier sehr weit ab von den Thesen Fritz Fischers, von denen die Herausgeber in der Einleitung sprechen. Aber vielleicht war das ja sogar eine subtile Absicht, hier von Fritz Fischer (der wie die Herausgeber der Reihe in Hamburg lehrte) und seinen Ideen ein Stueck abzuruecken und dafuer den tschechischen Kollegen vorzuschicken.
Den Inhalt eingehender zu schildern, soll nicht Aufgabe dieser Rezension sein; stattdessen ist es noetig, einige allgemeine Eindruecke hervorzuheben. So gibt Skrivan selbst einen Einblick in seine Ziele, wenn er im Vorwort schrieb: "Der Autor gibt mit vollem Bewusstsein der traditionellen Herangehensweise den Vorzug" (S. 14). Die Vorzuege des Buches sind, dass Skrivan viele Quellen gesichtet hat und vor dem Leser ausbreitet. Allerdings sind hier auch Luecken zu beklagen. So koennte ueber das politische Vorspiel der Bosnischen Annexion gewiss mehr gesagt werden, als Skrivan es tut. Vergleichsweise schwach sind auch die Teile, die sich beispielsweise mit Italien beschaeftigen. Denn der von Skrivan untersuchte Zweibund ist ja eine kuenstliche Bezugsgroesse, da in jener Zeit der Dreibund das politische Buendnis war, das in der Politik, in der Strategie und der politischen Rhetorik der Zeitgenossen dominierte. Was Skrivan hier zu sagen hat, etwa ueber das Prinetti-Barrere-Abkommen, kommt selten ueber die in den einschlägigen Handbüchern verwendeten formelhaften Redewendungen hinaus. Hier haette ein Blick in Fritz Fellners Aufsatzband "Vom Dreibund zum Voelkerbund" Fehler vermeiden helfen. [1]
Auch ansonsten macht dieses Buch, bei aller Belesenheit und Aktenkenntnis des Autors, einen zwiespaeltigen Eindruck. Die Herausgeber haben dies offenbar geahnt; im Vorwort schreiben sie: "Auch wenn unser tschechischer Kollege in seiner Abhandlung zur Fischer-Kontroverse nicht ausfuehrlich Stellung nimmt, so ist gerade uns Hamburger Kollegen daran gelegen, zur Interpretationsvielfalt zur deutsch-oesterreichisch/ungarischen Geschichte vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges beizutragen." Doch genau diesen Anspruch loest das Buch nicht ein. Skrivan arbeitet stattdessen die diplomatiegeschichtlichen Ablaeufe noch einmal auf und foerdert hier, neben vielem Bekannten, auch das eine oder andere weniger oder Unbekannte zutage. Eine neue Interpretation ist das nicht. Es ist eine quellenorientierte Abhandlung, eine Narratio ohne wirkliche eigenstaendige neue Bewertung. Auch die Hauptthese, dass Deutschland das Buendnis durchaus nicht so dominierte, wie man es aufgrund der Staerkeverhaeltnisse erwarten sollte, sondern mehrfach von seinem schwaecheren Partner Oesterreich-Ungarn ins Schlepptau genommen wurde, ist nicht neu.
Dieses Buch wirkt, als sei es nicht fuer die Gegenwart geschrieben, sondern als ein verspaeteter Konkurrent der diplomatiegeschichtlichen Abhandlungen der Zwischenkriegszeit. Damit soll, um hier keine Miss
---------- Forwarded message ----------Date: Sun, 16 Dec 2001 15:06:08 +0100 From: Angela Jancius <soz98mkt@studserv.uni-leipzig.de> To: h-net books <books@www2.h-net.msu.edu> Subject: Afferbach on Skrivan, Schwierige Partner
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verstaendnisse entstehen zu lassen, keinesfalls gesagt werden, dass die Arbeit wertlos sei. Sie kann durchaus einen Beitrag zur Geschichte der internationalen Politik vor dem Ersten Weltkrieg erbringen. Aber eben nur als Auskunftsmittel, in dem die faktischen Ablaeufe nachgezeichnet wurden, und darin ergaenzend zu den nicht gerade wenigen, bereits vorliegenden Buechern zum Thema. Und die These der "schwierigen Partnerschaft" reicht eigentlich nicht aus, um dieses Buch zu einem Gegenstand kontroverser Diskussion machen zu koennen. Dafuer wird auch den aktuellen Forschungsdiskussionen zu wenig Beachtung geschenkt.
Ein letzter Punkt sind Stil und Uebersetzung. Die Sprache ist glanzlos, ja holprig, und verschiedentlich kommt es zu direkten Fehlern (etwa S. 13, viertletzte Zeile: "ein" statt "kein"). Das erklaert sich aber aus dem gewaltigen Aufwand, dieses Buch aus dem Tschechischen ins Deutsche zu uebersetzen; ein Aufwand, der letztlich der wissenschaftlichen Kooperation dienen soll und als solcher wirkliche Anerkennnung verdient.
Das Buch wird seinen Wert als quellenorientierte, auf breitem Akten- und Archivstudium basierende Darstellung lange behalten. Als solche ist es sehr brauchbar, wenn auch vorzugsweise in paralleler Verwendung von anderer einschlaegiger Literatur. Es tritt damit gewissermassen in Konkurrenz zu den diplomatiegeschichtlichen Arbeiten der Zwischenkriegszeit. Die in dieser Darstellung gemachten kontroversen Aussagen sind allerdings nach Ansicht des Rezensenten nicht pointiert genug herausgearbeitet, um auf den akuellen Gang des Forschungsdiskurses einwirken zu koennen.
Anmerkung:
[1]. Fritz Fellner, Vom Dreibund zum Voelkerbund. Studien zur Geschichte der internationalen Beziehungen 1882-1919. Hrsg. v. Heidrun Maschl und Brigitte Mazohl-Wallnig (Wien: Verlag fuer Geschichte und Politik, und Muenchen: Oldenbourg, 1994).
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Citation:
Holger Afflerbach. Review of Skrivan, Ales, Schwierige Partner. Deutschland und Ö?sterreich-Ungarn in der europÖ¤ischen Politik der Jahre 1906-1914.
HABSBURG, H-Net Reviews.
November, 2001.
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