Aktuelle Wege der Cistercienserforschung. Heiligenkreuz/Niederösterreich: Alkuin Schachenmayr; Europainstitut für cisterciensische Geschichte, Liturgie und Spiritualität (EUCist), 28.11.2007-29.11.2007.
Reviewed by P. Alkuin Schachenmayr
Published on H-Soz-u-Kult (January, 2008)
Aktuelle Wege der Cistercienserforschung
Klein, aber fein, so kann das erste Forschungsseminar des neu gegründeten Europainstitutes für cisterciensische Geschichte, Liturgie und Spiritualität („EUCist“) an der Päpstlichen Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz charakterisiert werden. Abt Gregor Henckel-Donnersmarck begrüßte als Magnus Cancellarius der Päpstlichen Hochschule die Teilnehmer, Rektor Karl Wallner ermutigte in seinen einleitenden Worten das junge Institut, sich motiviert und intensiv der Forschung zu widmen.
Als Organisator, Leiter und Moderator der Tagung skizzierte der Vize-Rektor und Professor für Kirchengeschichte an der Päpstlichen Hochschule Heiligenkreuz, ALKUIN SCHACHENMAYR, zu Beginn Aufgaben und Ziele des jungen Institutes: Tonangebende Publikationen für die zukünftige Cistercienser-Forschung sollen herausgegeben, eine produktive Begegnung zwischen Forschern, die dem Orden nicht angehören, und dem lebendigen Cistercienserorden heute ermöglicht werden. Ein erster Schritt in diese Richtung werde mit dieser Tagung gemacht, die sich das hohe Ziel gesetzt habe, den derzeitigen Stand der Cistercienser-Forschung vorzustellen, Forschungsmodelle zu erklären sowie bisherige Lücken in den verschiedenen Forschungsgebieten des Cistercienserordens aufzuzeigen. Schachenmayr strich die Bedeutung und die Notwendigkeit des EUCist hervor: Die Erforschung der Geschichte, Liturgie und Spiritualität des Cistercienserordens gehe aus den Gegebenheiten der Päpstlichen Hochschule in Heiligenkreuz hervor. Hier studieren mehr und mehr Cistercienser und cisterciensisch interessierte Menschen, die eine neue Forschungskraft darstellen. Diese müssten ermutigt, geführt und begleitet werden, anspruchsvolle wissenschaftliche Arbeiten zu verfassen und die Ordensforschung voranzubringen.
Klare Worte zur gegenwärtigen Lage der Cistercienser-Forschung fand IMMO EBERL, apl. Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Tübingen und Autor des Buches „Die Zisterzienser. Geschichte eines europäischen Ordens“. Er wies auf das Fehlen von umfassenden Bearbeitungen der Geschichte der fünf Primarabteien Cîteaux, La Ferté, Pontigny, Clairvaux und Morimond hin. Eberl erläuterte diesen Mangel am Beispiel der Cisterce Morimond, zu deren Filiation fast alle deutschen Cistercienserklöster gehören: Eine 1855 (!) abgefasste Untersuchung sei tatsächlich noch immer die zentrale Darstellung der Geschichte von Morimond! Vergleichbares gelte auch für die Geschichte anderer Abteien. Als forschungsrelevant bezeichnete Eberl in seinem Referat die Editionen der Quellen zur Geschichte der fünf Primarabteien, auch Urkundeneditionen lägen bislang nur für Cîteaux, La Ferté und für Clairvaux für das 12. Jahrhundert vor. Ein weiterer „dunkler Fleck“ ist die Visitationstätigkeit der Äbte. Zwar werde dieses Thema häufig in verschiedenen Veröffentlichungen angesprochen, es fehle jedoch eine abschließende Untersuchung zu dieser Tätigkeit der Äbte, wie auch der europaweite Aufgabenkreis dieser Äbte kaum bekannt sei.
Als auffällig bezeichnete der Tübinger Professor das geringe Interesse, das den asketischen Eremiten und Wanderpredigern der ersten Stunde zugewandt werde, denn sie hätten für die Gründung des Cistercienserordens den Boden bereitet und so den geistesgeschichtlichen Hintergrund gebildet, auf dem der Cistercienserorden rasch wachsen konnte. Auch der Zusammenhang zwischen dem deutlich spürbaren Rückgang der spirituellen Schriftsteller im Orden im 12. und 13. Jahrhundert und die ebenfalls nachlassenden Neugründungen von Klöstern zu derselben Zeit seien herzustellen und zu erörtern. Weitere Desiderate Eberls in der Erforschung des Ordens: eine europaweite Untersuchung der Förderung des Cistercienserordens von Seiten des Episkopats; die Forschung im Umkreis der Persönlichkeiten um den hl. Bernhard von Clairvaux; die kunstgeschichtliche Forschung im Bereich der Bau- und Ausstattungsgeschichte der Klöster im gesamteuropäischen Rahmen. Fruchtbar erwies sich die auf Eberls Referat folgende Diskussion hinsichtlich der geplanten Schaffung eines Mediums, um leichter Zugriff auf sämtliche verfügbare Literatur zum Orden zu erhalten. Ob der Geschichte der Primarabteien und der Filiation tatsächlich die Wichtigkeit zukomme, die Eberl ihr beimesse, wurde in Frage gestellt.
Den Start in den Nachmittag machte JÖRG OBERSTE, Professor für Mittelalterliche Geschichte und Historischen Hilfswissenschaften an der Universität Regensburg. Oberste, der in seiner Dissertation unter anderem die Visitation und Ordensorganisation der Cistercienser untersucht hatte, befasste sich auch in seinem Referat ausführlich mit diesem Thema und erläuterte eingehend das Modell cisterciensischer Ordensverfassung. Nachdem er zum aktuellen Forschungsstand Stellung bezogen hatte, erklärte Oberste die Funktionsweisen der Generalkapitel bzw. der Visitationen. Deutlich legte er das typisch cisterciensische „Liebesverhalten“ zwischen Visitator und der zu visitierenden Abtei dar: Visitationen sollten einmal im Jahr „im Geist gegenseitiger Liebe“ erfolgen. Interessantes Detail: die auszustellende Visitationsurkunde sei beim Kantor des jeweiligen Klosters hinterlegt worden. Oberste ging auch auf die Verrechtlichung im Orden ein, eine stark zunehmende Tendenz im Laufe der ersten Jahrhunderte der Cistercienser, die typisch sei für eine Institution mit „charismatischen Wurzeln“. Der Erfolg der cisterciensischen Verfassung und die Rezeption derselben durch andere Orden sei nicht mit der Tatsache zu erklären, dass die Cistercienser besonders gute Organisatoren und Juristen waren, so Oberste. Vielmehr sei die Ordensverfassung als ein getreues Abbild der geistlichen Verfassung zu verstehen. In der anschließenden Diskussion stellte sich die Frage, ob die Diözesanbischöfe von den Cisterciensern abgeschaut und das Modell der Visitation „kopiert“ hätten. In der Realität habe es sich – wie Oberste erläuterte – eher umgekehrt verhalten. Abschließend ging er noch auf die unterschiedlichen Visitationsprinzipien bei Prämonstratensern und Cluniacensern im Gegensatz zu den Cisterciensern ein, wobei er auf das Problem der Einmischung in klösterliche Rechte seitens des Episkopates hinwies.
Mystisch anmutend war der Beitrag bzw. die These von WOLFGANG BUCHMÜLLER in Bezug auf den berühmten Cistercienserabt Isaak von Stella, der zur zweiten Generation der Väter von Cîteaux zu zählen ist. Buchmüller, der mit einer Arbeit über Aelred von Rievaulx den Doktorgrad erlangt hat und gegenwärtig Professor für Spirituelle Theologie an der Päpstlichen Hochschule Heiligenkreuz ist, versuchte in seinem Referat der These Geltung zu verschaffen, Isaak von Stella sei im lateinischen Mittelalter der erste Rezipient des Dionysius Areopagita bzw. dessen „Mystischer Theologie“ gewesen. In seiner Lebensbeschreibung des Areopagiten skizzierte Buchmüller ein schillerndes Bild: An Dionysius, der auch als „Vater der Mystik“ bezeichnet werde, scheiden sich die Geister! Einerseits wurde er im 6. Jahrhundert als Kirchenvater verehrt, andererseits der Irrlehre verdächtigt. Eingehend schilderte Buchmüller die „Drei Phasen im geistlichen Leben“ des Dionysius Areopagita und ging anschließend näher auf die Rezeptionsgeschichte Dionysius’ im lateinischen Westen wie auf die Neuübersetzung seiner Werke im 9. Jahrhundert durch Johannes Scotus Eriugena ein. Auf jeden Fall sei Isaak von Stella, übrigens geborener Engländer und Schüler des Abaelard, einer der großen spekulativen Denker, die aus dem Orden hervorgegangen sind. Ähnlichkeiten mit dem Areopagiten ortete Buchmüller vor allem in der negativen und affirmativen Theologie des Isaak und seiner Ansicht, dass bei Gott mehr die Verneinungen der Wahrheit entsprechen. In den Werken des langjährigen Abtes im Kloster Stella sei eine dreifache Einteilung der Theologie festzustellen, die er als Schwelle zur Mystik festmache und der Meinung sei, allein die Kontemplation ermögliche weitere Schritte auf Gott hin. So sei die These von Isaak als erstem Rezipienten der dionysischen mystischen Theologe zu rechtfertigen, resümierte Buchmüller.
Als überaus wertvoll erwies sich der Beitrag von PIUS MAURER, Professor für Liturgiewissenschaft an der Philosophisch-Theologischen Hochschule
der Diözese St. Pölten wie auch an der Päpstlichen Hochschule Heiligenkreuz. Er ging in seinem Referat auf die Liturgische Bewegung im Cistercienserorden ein, wobei er – selbst Angehöriger der allgemeinen Observanz – den Schwerpunkt seines Beitrags hauptsächlich auf den Ordo Cisterciensis (O. Cist.) und nicht auf die Trappisten (OCSO) legte. Ausgehend von den liturgischen Pioniertaten von Prosper Guéranger, Abt von Solesmes, und Erzabt Maurus Wolter von Beuron für die Liturgische Bewegung, erschloss Maurer die Bedeutung der Liturgie im und für den Cistercienserorden. Weltkirchlich gesehen habe der Orden keine so einflussreiche Rolle hinsichtlich der Liturgie wie etwa die Benediktiner von Solesmes oder Beuron übernommen. Die Liturgische Bewegung habe sich bei den Cisterciensern vor allem ordensintern abgespielt und reiche in ihren Anfängen – ähnlich der Liturgischen Bewegung in der Weltkirche – bis in das 19. Jahrhundert zurück. Als entscheidend für die Förderung der ordenseigene Liturgie wertete Maurer die Mehrerauer Gründung des Klosters Hauterive in der Schweiz. Abt Kassian Haid, für einige Jahre gleichzeitig Abt der Mehrerau sowie Generalabt des gesamten Ordens, hatte der Gründungskolonie als besondere Aufgabe die Pflege der Liturgie anvertraut. Bedeutung erlangte die vom späteren Generalabt Matthäus Quatember 1945 gegründete cisterciensische Fachzeitschrift „Analecta Cisterciensia“, die im Laufe der Jahre immer wieder wertvolle Artikel zur Erforschung der Cistercienser-Liturgie publizierte. Wichtig für die Liturgie war im 20. Jahrhundert auch die Abtei Heiligenkreuz, die sich unter den österreichischen Stiften dank liturgisch und spirituell reger Äbte am stärksten und umfassendsten auf eine Hinwendung zur cisterciensischen Liturgie eingelassen habe. Die Reform der römischen Liturgie beim II. Vatikanischen Konzil und in der postkonziliaren Zeit habe völlig neue Gegebenheiten und Forderungen für die Liturgie-Verantwortlichen im Cistercienserorden mit sich gebracht. Beim speziellen Generalkapitel von 1968/69 habe sich der Orden angesichts der unterschiedlichen Geschichte, Traditionen und Aufgaben in den einzelnen Häusern für einen legitimen Pluralismus des klösterlichen und liturgischen Lebens in den Klöstern und für eine größere Autonomie der einzelnen Kongregationen des Ordens entschieden.
Den Schlusspunkt des ersten Tages setzte der Forscher ULRICH KNAPP mit seinen Ausführungen zur Planung einer Cistercienseruniversität im 17. Jahrhundert in der Cistercienserabtei Salem, die 1134 gestiftet worden war. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts und im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts habe die Abtei eine Zeit wirtschaftlicher Blüte erlebt, die sich in umfangreichen und kostspieligen Neubauten und Neuausstattungen in der Abtei und den zur Abtei gehörenden Besitzungen niedergeschlagen habe. In der Abteirechnung 1616/1617 seien dabei erstmals Ausgaben für Bauarbeiten an einer bis dahin in Salem nicht belegbaren Einrichtung entdeckt worden – für ein geplantes Collegium. 1615 zog man zwei Jesuiten, Fr. Huber und P. Hutter, als Berater für die Salemer Neubauten hinzu. Beide legten eigene Pläne zu den Neubauten vor, die in die ausgeführte Planung einflossen. Aus den Quellen lässt sich die Aufnahme eines – wenn auch eingeschränkten – Lehrbetriebs in Salem erschließen, doch dürften die Ereignisse des 30-jährigen Kriegs die endgültige Etablierung des geplanten Philosophisch-Theologischen Seminars in Salem verhindert haben, so Knapp. 1632 sei Salem erstmals in die Kriegswirren mit wechselnden Einquartierungen und Brandschatzungen involviert worden. In der Folge wurden sämtliche Bau- und Ausstattungsarbeiten im Kloster unterbrochen. 1641 schließlich musste der Konvent aufgelöst werden. In Salem selbst blieb nur der Bursar mit einem einzigen Mitbruder zurück.
JENS RÜFFER, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt über die Kathedrale von Santiago de Compostela an der Universität Bern/Schweiz, eröffnete den Reigen der Vorträge am zweiten Tag der Forschungstagung. Rüffer, der in Berlin im Zuge seiner Promotion bereits zur ästhetischen Kultur der Cistercienser gearbeitet hatte, sprach in seinem Beitrag über die Wechselwirkung von Kunst und Wissenschaft bei der Schaffung kultureller Traditionen am Beispiel sakraler Architektur. Anhand verwaister Cistercienserabteien in England versuchte er, die Wechselwirkungen zwischen Kunst (Malerei und Graphik) und Geisteswissenschaften (Historiographie und Bauforschung) im Kontext der zeitgenössischen Erinnerungskultur zu untersuchen. Im Mittelpunkt stehe, so Rüffer, der Beitrag von Wissenschaft und Kunst bei der Herausbildung kultureller Traditionen. Die zentrale Frage laute: Wie haben sich die Abteien, deren Gebäudekomplexe nur noch als Ruinen existieren und die mit der Auflösung der Konvente nicht mehr religiös genutzt wurden, zum Baudenkmal entwickelt? Rüffers Hauptthese: Die Erforschung der Abteien durch Antiquare, Historiker, Bauforscher und Archäologen wie auch die Darstellung derselben in verschiedenen künstlerischen Medien bilde eine wichtige Voraussetzung für den Denkmalcharakter. Eine Schwierigkeit ergebe sich aus der Tatsache, dass der Untersuchungsgegenstand primär weder politisch noch religiös überformt sei. Der Beitrag von Historiographie, Topographie, Bauforschung und bildender Kunst zur Formung des kulturellen Gedächtnisses trete dort am deutlichsten hervor – so Rüffer in seiner Schlussbemerkung – wo Reiseführer das elitäre Fachwissen auf die Bedürfnisse eines gesellschaftlich vielschichtigeren Publikums zuschnitten und diesem durch den Besuch der historischen Stätten eine unmittelbare Synthese von Wissen und ästhetischer Erfahrung ermöglichten. Im Anschluss an den anspruchsvollen Vortrag kam in der Diskussion die Auflösungspolitik König Heinrich VIII. zur Sprache: Klosterruinen wurden als Rohstoffbasis verkauft und dienten gleichsam als Steinbruch! Das Abdecken der Bleidächer in den Abteien durch Heinrich VIII. führte zu einer Inflation des Bleis in Europa. Mit der Beraubung der Gebäude von ihrer ursprünglichen Funktion war der erste große Schritt in Richtung Verfall und damit Ruine getan.
Mit MICHAEL ERNST, Professor für Neues Testament an der Universität Salzburg und an der Päpstlichen Hochschule Heiligenkreuz, trat ein Fachmann für Bibelauslegung und gleichzeitig ein Freund und Kenner der benediktinischen sowie cisterciensischen Spiritualität und Geschichte ans Rednerpult. Ernst untersuchte in seinem Beitrag die sog. „Stephansbibel“ des hl. Abtes Stephan Harding im Kontext der Vulgatatexte und -revisionen bis zum 13. Jahrhundert. Nach einem geschichtlichen Überblick zu den Fassungen der Praevulgata und der Vulgata stellte Ernst den dritten Abt von Cîteaux, Stephan Harding, und sein Bemühen um eine möglichst „reine“ Bibelfassung vor. Schon bald nach der Gründung des „Neuklosters“ Cîteaux hätten sich die Cistercienser um die Durchsicht und Verbesserung der liturgischen Bücher bemüht, die sie von Molesme mitgebracht hatten. So wollten sie möglichst authentische „Normalexemplare“ der einzelnen Bände schaffen, die dann von allen verwendet werden sollten. Der Hauptunterschied zu unseren gewohnten Bibelausgaben sei, wie Ernst erklärte, dass die Stephansbibel das Corpus Catholicum vor das Corpus Paulinum setze – eine damals keineswegs bemerkenswerte oder gar unübliche Sache! Für die Bibelwissenschafter stelle sich die Frage, welche Handschrift Abt Stephan als Vorlage für den unkorrigierten Text seiner Bibel benutzt habe, und welche Handschriften ihn dann zu den verschiedenen Korrekturen veranlasst hätten – eine eindeutige Antwort sei hier kaum jemals zu erwarten, bemerkte Ernst. In seiner Bewertung hob er die Revision des Vulgatatextes durch Stephan Harding hervor, sie verdiene jede Anerkennung, der Text sei überwiegend verbessert worden. Abt Stephan sei sich bewusst gewesen, schlussfolgerte Ernst, für die zwei wichtigen Säulen des Ordenslebens, die hl. Schrift und die Liturgie, „ad fontes“ gehen zu müssen. Das hieß für die Hymnen Quellenstudium in Mailand, für die hl. Schrift eine sorgfältig revidierte Vulgatafassung. Hinter diesem fast modern anmutenden Streben nach Authentizität und Wahrheit stehe letztlich derselbe Grundsatz, mit dem die ersten Cistercienser auch der Regel des hl. Benedikt begegnet seien: Sie wollten die ursprüngliche Lebensform, die auf den hl. Benedikt selbst zurückging, ohne die späteren Veränderungen wieder in die Tat umsetzen – genauso suchten sie in allen Bereichen, vor allem bezüglich der hl. Schrift und der Liturgie, nach den ältesten, verlässlichsten und damit „wahren“ Traditionen. Dass Stephan Harding wohl auch des Griechischen mächtig war – ein Diskussionspunkt im Anschluss an den Vortrag – gehe aus einer Randnotiz hervor, erklärte Ernst, in der vermerkt sei, dass Abt Stephan bei seiner Textrevision auch den griechischen Urtext der neutestamentlichen Schriften berücksichtigt habe.
Als „Spiegel der Ordensgeschichte“ verwendete THOMAS AIGNER anschließend das ordenseigene Publikationsorgan „Cistercienser-Chronik“. Aigner, seit 1995 Leiter des Diözesanarchivs St. Pölten, machte dies am Beispiel der unterkrainischen/slowenischen Abtei Sittich/Stična fest. Zuvor wies er auf den zweifachen Wert der Cistercienser-Chronik hin, zum einen als bedeutend für die Ordensgeschichte durch die Veröffentlichung diverser historischer Artikel und Quellensammlungen, zum anderen als wichtiges Zeitdokument, in dem die Auswahl der Artikel und Themen für sich selbst sprechen würde. Ziel seines Vortrages war es, den Wert der Cistercienser-Chronik vor allem als Zeitdokument zu erläutern und die Nützlichkeit dieser Zeitschrift für die weiterführende Forschung aufzuzeigen. Im Folgenden wies Aigner auf die Bedeutung des Klosters Sittich hin, das nach seiner Stiftung im Jahr 1136 durch Patriarch Peregrin von Aquileia blühte und gedieh, im 15. und 16. Jahrhundert aber aufgrund des zunehmend osmanischen Einflussbereiches ständig von Plünderungen und Zerstörung bedroht war. Nach der Gegenreformation im Land und der Überwindung der Osmanengefahr blühte das Kloster Sittich erneut auf, ehe es 1784 im Zuge der josefinischen „Reformen“ aufgehoben wurde. So befand sich im Jahre 1898, als die Cistercienserabtei Mehrerau anlässlich des 800-jährigen Ordensjubiläums den Komplex erwarb und eine Neugründung plante, ein k.k.-Bezirksgericht im Klostergebäude, während der Kapitelsaal zum Unterrichtsraum für die Jugend umfunktioniert worden war. Über jeden Fortschritt in der „Rückeroberung“ wurde detailliert in der Cistercienser-Chronik berichtet, bis schließlich am 4. Oktober 1898 das Kloster feierlich eingeweiht werden konnte und Sittich im Jahre 1903 zur Abtei erhoben wurde. In seiner abschließenden Bewertung strich Aigner die Bedeutung der Cistercienser-Chronik als Fundgrube für die Ordensgeschichte hervor, wiewohl sie nicht ein intensives Akten- und Literaturstudium ersetze, dennoch vermittle diese Zeitschrift einen seriösen Überblick über die deutschsprachigen Cistercienser.
Letzter Redner der Tagung war der aus Jena stammende geschäftsführende Gesellschafter der ComputerDienst Jena GmbH, FRANK SASAMA, der aus persönlicher Leidenschaft die Internetplattform Cistopedia ins Leben gerufen hat. Sasama stellte seine Vision von Cistopedia vor, er erhoffe sich eine Datensammlung über alle Cistercienser, die Tabellen der wichtigsten Daten, Fotos, eine Bibliographie wie auch diverse Artikel zu jedem Kloster enthalten solle. Nachdem er die Prinzipien und Ansprüche dieses Projekts vorgestellt sowie Pläne und Wünsche für die Zukunft geäußert hatte, folgte eine ergiebige Diskussion mit den unterschiedlichsten Wünschen der Tagungsteilnehmer an Cistopedia.
Im Rahmen dieser abschließenden Gesprächsrunde kristallisierte sich als wichtigstes Desiderat eine zentrale Bibliographie zum Cistercienserorden heraus, die leicht und schnell zugänglich sein solle. Als Lösung wurde die Erstellung einer eigenen Homepage erwogen.
Fazit der ersten EUCist-Forschungstagung: Viele wichtige Anstöße wurden gegeben, viele Lücken in der Forschung aufgezeigt, die nun systematisch aufgearbeitet werden sollen. Zu Recht wurde abschließend die Forderung nach jungen Forschern laut, denen – gefördert durch Stipendien – die Möglichkeit zu Dissertationen und Habilitationen im Rahmen der Cistercienser-Forschung gegeben werden soll.
Konferenzübersicht
Aktuelle Wege der Cistercienserforschung
Eröffnung: Abt Gregor HENCKEL-DONNERSMARCK
Begrüßung: Hochschulrektor Karl WALLNER
Zielsetzung: EUCist-Vorstand Alkuin SCHACHENMAYR
Lücken in der Cistercienser-Forschung: Immo EBERL
Visitationen und Generalkapitel – das cisterciensische Modell der Ordensverfassung: Jörg OBERSTE
War Isaak von Stella als einer der profiliertesten Erneuerer der Gotteslehre der erste Rezipient der „Mystischen Theologie“ des Dionysius Areopagita im lateinischen Mittelalter?: Wolfgang BUCHMÜLLER
Die Liturgische Bewegung im Cistercienserorden: Pius MAURER
Planung einer Cistercienseruniversität im frühen 17. Jahrhundert: Ulrich KNAPP
Ars – Scientia – Memoria. Zur Wechselwirkung von Kunst und Wissenschaft bei der Schaffung kultureller Traditionen am Beispiel sakraler Architektur: Jens RÜFFER
Der hl. Abt Stephan Harding von Cîteaux und seine Bibel im Kontext der Vulgatatexte und -revisionen bis zum 13. Jahrhundert: Michael ERNST
Die Cistercienser-Chronik als Spiegel der Ordensgeschichte – Das Beispiel der Wiederbesiedelung des unterkrainischen Klosters Sittich/Stična: Thomas AIGNER
Cistopedia – the abbeys of the Cistercians. Vorstellung einer Internet-Plattform: Frank SASAMA
Führung durch das Kloster Heiligenkreuz: Alkuin SCHACHENMAYR
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Citation:
P. Alkuin Schachenmayr. Review of , Aktuelle Wege der Cistercienserforschung.
H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
January, 2008.
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