WerkRaum.12. Franka Hörnschemeyer. Nr.109. Hamburger Bahnhof, Museum f?r Gegenwartskunst.
Reviewed by Paolo Sanvito
Published on H-Museum (January, 2003)
In der Ausstellungsreihe "Werkraum" werden im Hamburger Bahnhof--Museum für Gegenwartskunst für anderthalb Monate Werke von Franka Hörnschemeyer gezeigt, einer seit einigen Jahren in Berlin lebenden Bildhauerin, die dem Berliner Publikum schon wegen ihrer ungewöhnlichen Inventionen und Installationen wohlbekannt ist. In letzter Zeit waren ihre Arbeiten in kurzer Folge in der Kapinos Galerie (2001, "Das Westzimmer", 2002, "Büroauflösung"), im Paul-Löbe-Haus und im Deutschen Bundestag ("BFD--bündig fluchtend dicht") zu sehen. <p> Hörnschemeyer arbeitet vorwiegend mit Materialien, die in der Baubranche verwendet werden. So fügte sie mobile rote Schalelemente, die zum Betonguss von Fertigwänden verwendet werden, für den WerkRaum.12 im Hamburger Bahnhof zu einer Installation, die den Besuchern spezifische Informationen über Geschichte, Grundriss, Technik und Nutzung des Gebäudes Hamburger Bahnhof optisch und akustisch vermitteln sollen. <p> Beim Betreten der Ausstellung ist der Besucher unmittelbar mit einem Video von Franka Hörnschemeyer konfrontiert, das den Verlauf von Auf- und Abbauten temporärer Ausstellungen aufzeichnet. Scheinbar (oder auch absichtlich) ein völlig neutraler Dokumentarfilm, der wichtige Informationen über die Vorbereitungsprozesse in diesem Raum und den Umgang mit demselben liefert. Davon ausgehend werden in ihrer Konzeption auch die unveränderlichen Eigenschaften des Raumes, seine Proportionen und Materialien, seine Geräusche und Akustik, hinterfragt. Durch langwierige Beobachtung hat Hörnschemeyer sowohl die Umwandlungs-, meistens aber Verkleidungsoperationen der Architektur des Gebäudes beobachtet, darüber Analysen produziert und die entsprechenden, durch Umbau und normalen Betrieb (Heizung, Lüftung, technische Anlage, Aufzüge u. dergl.) entstehenden Geräusche aufgenommen. <p> Dadurch sollte sich in einer überdimensionalen Skulptur, die in ihrer Größe fast der Land Art ähnelt, die Verwandlung des ehemaligen Bahnhofs über Jahrzehnte mit Umbauten und Anfügungen ganzer Trakte reflektieren: "Raumsituationen beleuchten erhellend in dieser architektonischen Skulptur die vielschichtige und wechselvolle Geschichte des über 150 Jahre alten Zweckbaues" (Friedegund Weidemann). Die Geräusche, die überall in diesem Mammuthbau willkürlich oder unwillkürlich ertönen, sind von der Künstlerin offensichtlich wie ein filmischer Soundtrack (der Realitätssinn lässt während des Besuches, bzw. Beschreitens der Skulptur erheblich nach) oder nach Art einer zeitgenössischen Oper im durchaus als Bühnenbild aufzufassenden Kunstwerk eingesetzt worden. <p> Die Fragen, die das Oeuvre der Künstlerin aufwerfen, stehen heute nicht zufällig im Zentrum des Diskurses architektonischer Studien (sowohl im Städtebau, als auch in Entwurf- und Planungstheorien). Wenn man ihnen auf den Grund gehen wollte, handelt es sich sogar um eine jahrhundertealte Debatte, die jedoch ihre Aktualität aufgrund der scharfen Kritik an den gerade noch in Berlin realisierten neuen Architekturen nicht verloren hat. Was Hörnschemeyer hier also mit ihrer Kunst produziert, ist auch ein Stück Architekturgeschichte. Es ist eine zeitgenössische Reflektion der Architektur im Verlaufe des letzten Jahrhunderts (der Hamburger Bahnhof wurde von Architekt Josef Paul Kleinhues umfunktioniert, der sich wiederum auf einen vermeintlichen ursprünglichen "Schinkelgeist" berief, dessen Kern um 1820 liegen soll). Ob dabei nicht doch die Bedeutung des Gebäudes streckenweise missverstanden wurde, ist eine Frage, die sich dem Betrachter dabei fast unbewusst, jedoch berechtigterweise stellt. Das Gebäude besteht, wie sowohl dem Video, der Geräuschkulisse, als auch dem Sinn des Werkes zu entnehmen ist, aus einem hohlem Zwischenraum. Diese Präsentation sagt u.a. auch etwas über den Strukturwandel aus, der das Architekturverständnis unserer Gesellschaft bis in die Gegenwart geprägt hat. "Beton und Gipskarton reflektieren (grundsätzlich) das architektonische Denken unserer Gesellschaft", so die Künstlerin selber. Mit diesem Thema befasst sich auch eine aktuelle Debatte an der Universität Darmstadt im Arbeitsbereich "Raumbezogene Gesellschaftsanalyse / Stadt- und Regionalsoziologie" unter der Leitung von Prof. Dr. Martina Löw.[1] Im Gegensatz zum Beispiel des Hamburger Bahnhofs steht ein Gebäude wie das Kunsthaus Bregenz von Peter Zumthor, das 1998 den Mies van der Rohe-Preis gewann. Dort können Besucher in den Außenanlagen auch die technischen Geräte betrachten. <p> An der rechten Außenwand der Ausstellung im Hamburger Bahnhof hängen Fotografien der ehemaligen Heeresversuchsanstalt Nord in Peenemünde, in der ab 1936 Hitlers A4, später bekannt als V2, entwickelt wurde. Hörnschemeyers Zeichnungen zeigen den historischen, die Fotos den heutigen Zustand. Nach neuesten Informationen sollte das Gelände in eine Art Disneyland umgewandelt werden, was auch einen missbräuchlichen Umgang mit dem Naturraum und dem historischen Ort reflektiert. Diese Präsentation spiegelt den generellen Missbrauch historischer Räume in unserer Geschichte wider--ein Leitmotiv in der Arbeit Hörnschemeyers. <p> Nolens volens (aber über solche Absichten nachzudenken ist für den Betrachter irrelevant) drückt sich die Ausstellung architekturkritisch aus, ohne eine Theoretisierung der Architektur zu betreiben. In ihr werden Ideen über den aktuellen, institutionellen Umgang mit Architektur geäußert, die analytisch und kritisch sind. Dadurch wird die Aussage der Ausstellung brisant. Andererseits distanziert sich die Künstlerin nicht von dem, was diesen spezifischen Ort ausmacht. Anders ausgedrückt, ist dies sogar der perfekte Ort--zumindest hic et nunc--für die Konzeption und Entfaltung ihrer Idee. <p> Anmerkung: <p> [1]. Martina Löw: Differenzierungen des Städtischen. Marianne Rodenstein zum 60. Geburtstag gewidmet, Opladen 2002 [Stadt, Raum und Gesellschaft, 15].
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Citation:
Paolo Sanvito. Review of , WerkRaum.12. Franka Hörnschemeyer. Nr.109.
H-Museum, H-Net Reviews.
January, 2003.
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