Frauke Miera. Polski Berlin - Migration aus Polen nach Berlin: Integrations- und Transnationalisierungsprozesse 1945 bis Ende der 1990er Jahre. Münster: Westfälisches Dampfboot, 2007. 391 S. EUR 29.90 (paper), ISBN 978-3-89691-646-4.
Reviewed by Matthias Barelkowski (Independent Scholar)
Published on H-German (June, 2008)
Berlin als polnischer Migrationsort: Die dritte Monographie zur polnischen Minderheit in Berlin
Nach den Monographien von Anna Poniatowska (Polacy w Berlinie. 1918-1945 [1986]) und Oliver Steinert ("Berlin - Polnischer Bahnhof!" Die Berliner Polen. Eine Untersuchung zum Verhältnis von nationaler Selbstbehauptung und sozialem Integrationsbedürfnis einer fremdsprachigen Minderheit in der Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs 1871-1918 [2003]) widmet sich Frauke Miera in ihrer Arbeit der Geschichte der polnischen Minderheit in Berlin in der Zeit von 1945 bis Ende der neunziger Jahre, so daß nunmehr Darstellungen zur Geschichte der Berliner Polen von der Reichsgründung bis in unsere Tage vorliegen.
Anders als ihre Vorgänger, die Historiker sind, benutzt Miera in ihrer Arbeit einen dezidiert politologisch-sozialwissenschaftlichen Forschungsansatz, der die Arbeit mit archivalischen Quellen allerdings leider auszuschließen scheint. Als Quellen benutzt sie Gesetzestexte, Abkommen, Sekundärliteratur, Tageszeitungen und Interviews mit einzelnen Akteuren. Gegliedert ist das Buch in zwei Haupteile: "Migration aus Polen nach West- und Ostdeutschland während des Systemkonflikts" und "Das deutsch-polnische Migrationssystem seit den Transformationsprozessen Ende der 80er bis Ende der 90er Jahre". Diese beiden Haupteile sind dann noch einmal sehr stark untergliedert, so daß die einzelnen Unterkapitel selten mehr als zwei Seiten umfassen, was leider auch auf die sehr kurz geratene, rein kursorische Darstellung des historischen Hintergrundes zutrifft.
Miera listet insgesamt elf unterschiedliche Gruppen polnischer MigrantInnen auf, die sich durch "die formalen und historischen Umstände der Einreise und des Aufenthalts" unterscheiden (S.11). Mieras zentrale These ist es, "dass die Migrations- und Integrationsprozesse zwischen Polen und den westlichen Besatzungszonen bzw. der BRD in der Zeit von 1945 bis Ende der 1980er Jahre in erster Linie durch die historisch belasteten deutsch-polnischen Beziehungen, nationalstaatliche Prinzipien und den politischen Systemkonflikt bestimmt sind" (S. 13). Hinsichtlich der DDR kämen noch die Einbindung in den gleichen ideologischen Block hinzu. Hinsichtlich der Wanderungs- und Integrationsmuster hieße dies: "Waren bis in die 80er Jahre in der BRD langfristige Migration und Ansiedlung und in der DDR eher quantitativ geringfügige, temporäre Erwerbsmigration dominant, so werden in den 90er Jahren die temporäre Pendelmigration und das Leben in transnationalen Räumen typisch" (S. 13). Gefragt werden solle in der Arbeit danach, "wie die MigrantInnen im Aufnahmeland integriert sind, und zwar in Bezug auf ihre aufenthalts- und staatsbürgerrechtliche Position, auf ihre Position auf dem Arbeitsmarkt sowie in Bezug darauf, wie sie sich kulturell und politisch betätigen" (S. 18). Insbesondere sollen auch mögliche Community-Strukturen untersucht werden.
Miera trägt nun mit großem Fleiß die Fakten und Daten für die einzelnen Zeitabschnitte zusammen und präsentiert die Ergebnisse auch in einem ausführlichen statistischen Anhang. Dadurch wird die Arbeit zu einer Art Nachschlagewerk für sonst in dieser Kompaktheit nur schwer auffindbare statistische Angaben, insbesondere zur Arbeitssituation der Polen in Berlin (die natürlich--wie die Autorin auch anmerkt--mit einiger Vorsicht zu genießen sind). Die Arbeit nimmt dadurch jedoch insgesamt einen so stark deskriptiv-aufzählenden Charakter an, daß das Lesen ermüdend wirkt und man zunehmend auf die Analyse wartet, die jedoch nicht kommt. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, daß längere Zitate einzelner Akteure praktisch fehlen, obwohl die Autorin doch u.a. zahlreiche Interviews geführt hat.
Hinsichtlich der Ausgangsthese kann Miera nachweisen, daß der Umgang mit den unterschiedlichen polnischen Migrantengruppen tatsächlich stark durch die politischen Rahmenbedingungen geprägt war und die politischen Veränderungen ihren Niederschlag in Status und Benennung der Migranten fanden. Insbesondere für den Bereich Erwerbsarbeit ergibt dies ein eindrückliches Bild.
Hinsichtlich der kulturellen Integration, der Konflikte innerhalb der polnischen Community und der Kommunikation mit dem deutschen Umfeld hätte man gerne mehr gewußt. So wird etwa der deutsch-polnischen Kommunikation lediglich eine dreiviertel Seite gewidmet (S. 202-203), wobei es bei der Aufzählung einzelner Initiativen bleibt. Die eingangs von der Autorin selbst aufgelistete Migrationsgruppe der polnischen Studierenden, die schließlich seit Ende der achtizer Jahre eine zunehmende Rolle spielt und eine wichtige Brückenfunktion hinsichtlich der Kommunikation mit dem Heimatland als auch mit der Berliner Gesellschaft einnimmt, wird zudem souverän vernachläßigt.
Da der Rezensent Historiker ist, sei es ihm am Ende vergönnt darauf hinzuweisen, daß leider ein Vergleich mit den Ergebnissen der oben genannten Arbeiten von Poniatowska und Steinert völlig fehlt. Steinerts Arbeit wird nicht einmal im Literaturverzeichnis erwähnt. Schade, denn ein kurzer Blick auf die "langen Linien", auf Kontinuitäten und Brüche in der Geschichte der Berliner Polonia hätte sich sicher gelohnt und interessante Einblicke geboten.
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Citation:
Matthias Barelkowski. Review of Miera, Frauke, Polski Berlin - Migration aus Polen nach Berlin: Integrations- und Transnationalisierungsprozesse 1945 bis Ende der 1990er Jahre.
H-German, H-Net Reviews.
June, 2008.
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