Anna Elisabeth Rosmus. Out of Passau: Leaving a City Hitler Called Home. Columbia: University of South Carolina Press, 2004. 206 pp. $29.95 (cloth), ISBN 978-1-57003-508-1.
Reviewed by Charlotte Schallie (Department of of Central, Eastern and Northern European Studies, University of British Columbia)
Published on H-German (May, 2005)
Die Soziologin Anna Elisabeth Rosmus ist in den Vereinigten Staaten vielen Kinobesuchern als "Nasty Girl" auch heutzutage noch ein Begriff. Michael Verhoevens Oscar-nominierter Spielfilm "Das schreckliche Mdchen" (1990), der auf Rosmus' Lebensgeschichte und auf ihren Recherchen beruht, zeigt eindrcklich, was einer jungen Deutschen widerfahren kann, wenn sie unerschrocken die nationalsozialistische Vergangenheit ihrer niederbayerischen Heimatstadt ans Tageslicht befrdert. Fr ihr unermdliches Engagement, das "immense Vertuschen und Verdrehen in der Nachkriegszeit" blozustellen, hat Rosmus ber Habriefe und Morddrohungen in Deutschland einiges einstecken mssen. In Passau habe man sie nach ihrem ersten Buch (sie schrieb es unter dem Namen Anja Rosmus-Wenninger) beschimpft" und "angespuckt".[1] Erst in den Vereinigten Staaten sei es ihr besser ergangen; sie wurde mit offenen Herzen und Armen--vorab in den jdischen Gemeinden--aufgenommen.
Seit ihrer Umsiedlung nach Washington D.C. und Maryland im Jahre 1994 wird Rosmus' Forschungsttigkeit dadurch bereichert, da sie vermehrt Vortrge und Vorlesungen hlt. Mit zahlreichen namhaften Preisen und Auszeichnungen bedacht ist sie vielerorts--sptestens seit ihrem Auftritt in der Fernsehsendung "60 Minutes"--zur Berhmtheit avanciert. In Santa Cruz feierte man am 10. April 1994 den sogenannten "Anna Rosmus Day". Die Universitt von South Carolina verlieh der Passauer Zeitgeschichtsforscherin im Jahre 2002 die Ehrendoktorwrde. Auch in Deutschland ist Rosmus seit Jahrzehnten vielfach preisgekrnt. 1984 erhielt sie den Geschwister-Scholl-Preis fr das "jugendlich unbeirrte, von keiner Ideologie gelenkte und von wenig Sympathie begleitete Durchhalten".[2]
Wie bereits die Vorlufer Widerstand und Verfolgung: am Beispiel Passaus 1933-1939 (1983), Wintergrn (1993) und Against the Stream: Growing Up Where Hitler Used to Live (2002) ist auch Out of Passau eine Stadtgeschichte der anderen Art. Zur Sprache kommt in diesem Text, was die Passauer Stadtvter in ihren offiziellen Ansprachen und Jubilumsschriften in der Nachkriegszeit geflissentlich aussparten, bzw. bewusst verdrngten. Am Beispiel vieler Einzelschicksale und Enthllungen rollt Rosmus die trbsten Kapitel der Nazi-Schreckensherrschaft in ihrem Heimatort noch einmal auf. Rosmus kommt dabei auch auf die in groer Zahl begangenen Abtreibungen der Ften von Zwangsarbeiterinnen zu sprechen--eine ungeheure Thematik, die auch heute noch viel zu sprlich im deutschen Erinnerungsdiskurs erwhnt wird. Rosmus' lebendige Sprache (ausgezeichnet bersetzt von Imogen von Tannenberg) macht es den Lesern einfach, einen Einstieg in dieses schwierige und komplexe Geschichtskapitel zu finden. Im gleichen Atemzug mu jedoch die Frage erlaubt sein, ob die Autorin es der Leserschaft nicht zu einfach macht.
Denn eine formale Auseinandersetzung mit Out of Passau zeigt, da Rosmus' Anspruch, Faschismusforschung zu betreiben in vieler Hinsicht nicht unproblematisch ist. So ist festzuhalten, da ihr Schreiben keine klare Grenzziehung zwischen wissenschaftlicher Arbeit und subjektiv gefrbten Memoiren erlaubt. Als wissenschaftlicher Beitrag zur Vergangenheitsaufarbeitung und zur gelebten Geschichte ist der Text historiographisch zu durchlssig und ungenau. Obwohl Zeitzeugen--die oftmals anonym bleiben--befragt werden, fehlen Funoten, Endnoten und Quellenverweise. Viele Erinnerungen und kuriose Fakten bereitet Rosmus als Anekdoten auf. (Es tut z.B. nichts zur Sache, da Adolf Eichmann 1935 in Passau geheiratet hat.) Auch bleibt unklar, welche Informationen und Erinnerungen sie aus zweiter Hand--z.B. aus Zeitungsausschnitten--hinzuzieht und welches Material aus persnlichen Gesprchen mit Zeitzeugen stammt. Zwar ist aus dem Inhalt klar ersichtlich, da Rosmus mehrere Archive aufsuchte, doch fehlen auch hier die entsprechenden Quellenhinweise. Lediglich festzuhalten, da sie auerhalb Deutschlands ein Akten-Eldorado vorfand (z.B. in den National Archives oder in der Gedenksttte Yad Vashem), ist nicht ausreichend. Zudem illustrieren Rosmus' Hinweise zu ihrer Archivarbeit, da sie manchmal Mhe damit bekundet, inhaltliche Prioritten zu setzen. Nebenschliches hat viel zu oft Vorrang und lenkt unntig ab: "Whenever I arrived they [the African American security guards in the National Archives] received me with extraordinary politeness: 'Welcome back!' they'd say, 'Where've you been so long? Writing another book? What's it about this time?' The only drawback was the fact that people lining up behind me to enter the shuttle had to wait until I had been 'sufficiently' greeted by everyone. I saw the surprised look on some of these people's faces and heard them say, 'Who is she?' Obviously they had not heard about 'The Nasty Girl' or seen '60 Minutes'" (p. 158).
Konzeptionelle Ungereimtheiten ergeben sich auch dann, wenn Rosmus ihre Memoiren mit lapidaren Alltagserinnerungen und Rckblenden durchsetzt, die in keinem Verhltnis zur Tragweite der anderweitig erzhlten Geschichte stehen. Der chronologisch verwirrende Ablauf und die hufigen Sprnge in der erzhlten Zeit machen es nicht immer einfach, dem Erzhlverlauf zu folgen. Notabene: Was den Titel der englischen Verffentlichung betrifft, ist er in zweifacher Hinsicht irrefhrend. Der Hauptteil des Textes beschftigt sich nicht damit, was die Erzhlerin dazu bewogen hat, Passau zu verlassen. Da Hitler in der englischen bersetzung im Untertitel namentlich erwhnt wird, ist eher dick aufgetragen. Wie aus dem Text hervorgeht, verbrachte Hitler als Kleinkind gerade einmal zwei Jahre in Passau (1892-1894), bevor die Familie in einen Vorort von Linz bersiedelte. Somit ist es doch ein wenig bertrieben zu suggerieren, da Passau fr ihn zur persnlichkeitsprgenden Heimatsttte wurde. Wenn Passau in Hitlers Biographie berhaupt einen Eintrag findet, dann nur deshalb, weil das Kleinkind Adolf beinahe im Passauer Eisbach ertrunken wre und nur durch den Einsatz eines mutigen Helfers gerettet werden konnte.
Eine weitere Schwche des Buches ist, da die Situation und Rolle der deutschen Mitlufer im Passauer Klein- und Grobrgertum nicht erlutert werden. Rosmus betont immer wieder, da ihre Gromutter und Mutter zu jung oder naiv waren, um die wahren schrecklichen Ausmae der NS-Herrschaft abzusehen: "Neither was she [my mother] aware of the anti-Semitic smear campaigns that were already taking place all over town. She was too young and too unsophisticated to notice" (p. 60). Diese Erklrung ist nicht plausibel, zumal die Autorin eine Seite weiter beschreibt, wie die jdischen Mitbrger schrittweise und fr alle sichtbar in die Enge getrieben wurden: "At the Yad Vashem Archives in Jerusalem I discovered a list of sayings that could be seen on stickers and placards posted throughout Passau when my mother was child: 'Trash and swindle are un-German! We must wipe out the Jewish vermin!' ... 'Jewish pig on vacation,' 'The Jew has murdered'" (p. 61). Die unangenehme Frage, ob eine Mehrheit der Passauer Brger und Zeitzeugen nicht stille Teilhaber des Grauens waren, bleibt unbeantwortet. Weil Rosmus Deutschland als Erinnerungskollektiv mehr oder weniger deutlich diskreditiert, kann sie auch nicht differenziert genug aufzeigen, wie der langwierige, schwierige Prozess der Erinnerungsarbeit insbesondere nach der Wende vonstatten geht.
Zwar hat Rosmus vieles in Kauf genommen und riskiert, dennoch zeigen sich in Out of Passau kaum Anstze einer konstruktiven Selbstkritik. Zumindest sollte Rosmus bewusst sein, da sie ihren Beitrag zum gegenwrtigen Shoah-Business leistet. Obwohl man der Autorin zu ihrer bemerkenswerten Zivilcourage und ihrem unablssigen Engagement fr die Opfer des NS-Gewaltstaates nur gratulieren kann, ist es zu bedauern, da sie sich in diesem Text nicht mit ihrem nordamerikanischen Image als heroische "Symbolfigur" und "Sulenheilige" auseinandersetzt.[2]
Diesbezglich msste sich Rosmus dem berechtigten Vorwurf stellen, da sie ihre eigene Person als ffentliche Inszenierung bzw. als deutsche Vorzeigefrau kultiviert. Die diffuse und schwierige Grenzziehung zwischen Bewusstseinsmachung, ffentlichkeitsarbeit und unverfrorener Selbst-Vermarktung sollte im Text zumindest angedeutet werden. Wie sehr bei Rosmus die Grenzen zwischen ernsthaftem Engagement und Selbstinszenierung verwischen, wird dann im Text deutlich, als sie sich in Passau verabschiedet, um in die Vereinigten Staaten berzusiedeln. Rosmus verlt ihre Heimatstadt nicht still und unauffllig, sondern in Begleitung des Westdeutschen Fernsehens, das die ersten neun Monate des "schrecklichen Mdchens" in der neuen Heimat dokumentieren mchte. Als der amerikanische Generalkonsul vorschlgt, fr Rosmus eine Abschiedsfeier zu organisieren, zeigt sich Rosmus angesichts des unverhofften Fototermins begeistert: "A good-bye party would have made a very charming addition to the film, I felt" (p.168).
Freilich entsteht somit bei der Lektre der Eindruck, da Anna Elisabeth Rosmus ihre Lebensgeschichte gezielt und gekonnt in eigener Sache einsetzt. Sie wird zum Kuriosum, das sich bereitwillig herumreichen lt und den Ruhm bedenkenlos auszukosten scheint. Es mu die Frage gestellt werden, wem Rosmus mit ihrer Forschungs- und ffentlichkeitsarbeit letztendlich den grten Dienst erweist.
Notes
[1]. Zitiert in Henryk M. Broder, "Eine Art Sulenheilige: In Amerika wird Anja Rosmus als Expertin fr den Holocaust herumgereicht. In Berlin erhlt sie den Galinski-Preis," Der Spiegel, 14 October 1996, S. 47.
[2]. Ibid.
[3]. Ibid. Siehe auch "Zivilcourage ist bei uns unerwnscht," tzettera November 1993, http://www.aetzettera.de.
If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at: https://networks.h-net.org/h-german.
Citation:
Charlotte Schallie. Review of Rosmus, Anna Elisabeth, Out of Passau: Leaving a City Hitler Called Home.
H-German, H-Net Reviews.
May, 2005.
URL: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=10542
Copyright © 2005 by H-Net, all rights reserved. H-Net permits the redistribution and reprinting of this work for nonprofit, educational purposes, with full and accurate attribution to the author, web location, date of publication, originating list, and H-Net: Humanities & Social Sciences Online. For any other proposed use, contact the Reviews editorial staff at hbooks@mail.h-net.org.



